Wolfgang Nußbaumer: Plastiken aus Stahl, 2012

 

Der Bildhauer Rolf Kurz hat es nicht so mit dem Figürlichen; er schätzt die Geometrie, das Messbare. Klare Formen, klare Lösungen. Erlegen ist er der Magie des Würfels. Das ist nicht neu; wie er jedoch mit den geometrischen Grundformen spielt, ist mindestens so originell wie intelligent. Metaphorik par excellence, die auch als rein ästhetische Formenjonglage funktioniert. Warum? Weil eben mehr dahintersteckt als Interesse an geometrischen Lösungen. Nachprüfen lässt sich diese Hypothese in einer "Reihenhaussiedlung", oder eher prosaisch gesehen in der Reihung von Häusern. In der Art, wie die Objekte arrangiert sind, wie sie proportional gewichtet sind, geschminkt mit der rostigen Patina des Vergänglichen, verwandeln sie sich in der Fantasie des Betrachters, die ja auf eigenem Erleben und Erkennen basiert, in Kriegsgerät, Konzentrationslager oder Festungen. Mein Haus ist meine Burg, dort bin ich Mensch, dort darf ich's sein. Gewiss. Nur, interpretatorische Sicherheit gibt uns dieser Rechtsspruch eben nicht. Übrigens auch keine reale. Schließlich verstand man noch zu Schillers Zeiten unter einem "Haus" auch des Menschen letzte Behausung: den Sarg. Auf der Metaebene des stählernen Formenpuzzles von Rolf Kurz jedenfalls herrscht kein Mangel an Wesenhaftem. Der Künstler indes bleibt ein bescheidender Mensch. Seine Kunst soll offen sein in dem Sinne, als die einzelnen Teile, sofern möglich, nach gusto angeordnet werden können. Die kleinen Arbeiten sind alles Unikate, auch wenn sie sich auf den ersten Blick zu gleichen scheinen, wie ein Ei dem andern. Sie sind seriell und zugleich individuell. Der Bildhauer spielt auf die industrielle Massenfertigung an und reflektiert als Historiker, der er neben seiner künstlerischen Profession ist, die Stahl-Geschichte. Es überrascht übrigens nicht, dass Rolf Kurz als Verfechter der klaren Form und der Reduktion sich als Bauhaus-Fan und Fan des Designs bekennt. Sich selbst sieht er – was die formale Ökonomie der Mittel betrifft - eher in der Tradition der Minimal Art stehen. In der Reduktion zeigt sich der Meister. Im Unterschied zur Minimal Art jedoch weisen die Plastiken von Rolf Kurz über sich selbst hinaus, dürfen metaphorisch interpretiert werden. Die Klarheit birgt zwar ein hohes Risiko, weil sie auch gegenüber ihrem Schöpfer schonungslos ist; Rolf Kurz hat dieses Risiko dennoch nicht gescheut - und das Ergebnis gibt ihm Recht. Weil er, und das ist das eigentliche Phänomen, am Beispiel des Icons Haus eine Binsenweisheit konterkariert, wonach das Ganze mehr sei als die Summe seiner Teile. Nicht bei Rolf Kurz. Bei ihm reflektiert das Einzelne das Ganze und umgekehrt. Die Verhältnisse von Licht und Schatten, von Farbe, also der Patina, und Raum verändern unsere Wahrnehmung des Einzelnen und des Ganzen. Schließlich kann man als Käufer, wie erwähnt, sein eigenes Ganzes herstellen, indem man die einzelnen Teile in eine eigene Ordnung bringt. Das funktioniert natürlich nur, weil das Einzelne seine Autonomie in der Stahl-Sequenz behauptet. Zu Ende gedacht, bedeutet diese Konstellation den Antagonismus zwischen Individuum und Masse. Die Haus-Welt von Rolf Kurz sieht sich autonomer Abstraktion ebenso verpflichtet wie gesellschaftlicher Kritik im Geiste eines Anselm Kiefer.

 

 

 

Daniela Maier: zu den Plastiken von Rolf Kurz, 2017

 

Das Verhältnis des Körpers zum Raum und zur Fläche, auf der die Objekte agieren können oder sie von der formgebenden Künstlerhand arrangiert werden, ist Thema der Plastiken von Rolf Kurz. Jedem dreidimensionalen Objekt ist es eigen, den es umgebenden Raum zu strukturieren oder plastisch zu aktivieren. Der Bildhauer Karl Albiker hat sich bereits in den 1920er Jahren intensiv theoretisch mit dem Thema „Das Problem des Raums in den Bildenden Künsten“ auseinander gesetzt. Er hält dort folgendes fest:

„Wir können uns keinen Körper vorstellen ohne den Raum, in dem dieser Körper seine Existenz führt, und das Bewusstsein unserer eigenen Körperhaftigkeit ist undenkbar ohne den Raum, in dem dieser Körper existiert und sich bewegt. Es gehört so zu den primären Bedingtheiten unseres menschlichen Daseins, dass uns dieser Raum eine klare Vorstellung ist, dass wir

uns in diesem Raum zurechtfinden.“[1]

Und so ist es auch für den Bildhauer Rolf Kurz selbstverständlich, seine Plastiken nicht nur als dreidimensionale Objekte auf einem Sockel zu platzieren. Er versteht sie vielmehr als Bezugspunkte zur Fläche auf der sie angeordnet sind ebenso wie zum Raum, der sie umgibt. Sie finden in den Werken „vier Viertel“ und „sechs Sechstel“ ihre Komplementäre direkt auf der Ausstellungsfläche. Diese Aufteilung in Viertel und Sechstel beschreibt den ursächlichen Zusammenhang der einzelnen Teile. Denn würde man sie zusammenfügen ergäben sie einen Würfel. Jedes der Teile verfügt überdies über gleich viele kleinere Würfel, aus der die Form zusammengesetzt ist. Dennoch haben sie nicht die gleiche Gestalt. Es ist ein Spiel, das berechenbar ist und doch immer wieder zu anderen Ergebnissen kommt. Je nach Anordnung der Figuren oder Objekte auf der Platte ergibt sich ein anderer Rhythmus eine andere Wirkung. Offenheit, Wehrhaftigkeit, Geschlossenheit, all das kann in der entsprechenden Anordnung mit diesen Modulen zum Ausdruck gebracht werden. Das hat fast platonische Größe. Denn Platon war einer der griechischen Philosophen, der glaubte, dass die mathematische Struktur des Universums von Symmetrie geprägt ist und auf den sogenannten fünf platonischen Körpern beruht. Dies sind Körper mit der größtmöglichen Symmetrie, zu denen als schlichtester Körper der Würfel gehört, aber auch der Tetraeder, Oktaeder, Dodekaeder oder Ikosaeder. Der Würfel ist eine der harmonischsten, geometrischen Figuren, da er auf Symmetrien beruht. Symmetrien empfinden wir als harmonisch und damit als schön. Dabei ist die Geometrie im Kern so simpel. Ein Punkt beginnt seine Reise, wird zur Linie und entwickelt sich zu einer Form -im besten Fall für Rolf Kurz- zu einer geometrischen Form. Kurz ist sich über die Ästhetik dieser geometrischen Grundformen sehr wohl bewusst und setzt den Würfel und das Dreieck bevorzugt in einer Art Ästhetik des Minimalismus ein. Betrachtet man seine Objekte genauer, so gewährt man eine Strenge der Form, eine Exaktheit bei der Berechnung und Zusammensetzung der Objekte, sowie eine hohe Sorgfalt in der Art der installativ in Szene gesetzten Arbeiten.

Nicht solitär, sondern additiv denkt Kurz seine Objekte im Raum. Deshalb wohl arbeitet er gerne modular oder in Serien. Hier sind die meisten Spielarten und damit auch das größte Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten gegeben. Das Komplementäre wie auch die Fläche auf der die Objekte sehr konzentriert und durchdacht komponiert sind, ist für die Gesamtwirkung entscheidend. Sie markieren nicht nur leere Flächen, sondern werden als Platzanlage im Häuserkontext wahrgenommen oder als gestalteter Raum, in dem die Objekte agieren. Sehr beeindruckend geschieht dies bei der Arbeit„neighbours“. Zwei Hausformationen, jeweils mit einer unendlich scheinenden sehr elegant geschwungenen Auffahrt, begegnen sich stirnseitig. Rolf Kurz hat sie ganz nah an den Rand der Sockel geschoben. Zwischen ihnen suggeriert ein kleiner Sockelabstand einen gähnenden Abgrund, der die beiden Häuser und mit ihnen deren Bewohner voneinander trennt. Wie kann man diesen Zwischenraum, diese Leere überbücken? Mit Kommunikation? Wollen die neighbours das? Oder ist die Isolation, das „für sich sein“ gewollt? Kurz spielt hier mit den Grunderfahrungen menschlicher Existenz. Das Haus als Motiv, das der Künstler als Form in vielen Varianten zusammensetzt, um daraus wieder eine komplexere Hausgestalt zu generieren, dient ihm dabei als Symbol und universelles Zeichen von Kultur und Zivilisation. Es ist sowohl ein Symbol für die menschliche Existenz als auch für Geborgenheit, Gemeinschaft, Offenheit, für Geschützt-sein

aber auch Eingesperrt- und Isoliert-sein. Indem Kurz mit dem Haus motivische Versatzstücke aus einem uns vertrauten Formenrepertoire verwendet, entstehen Werke mit große Suggestivkraft. Sie bieten in ihrer poetischen Reduktion und Schlichtheit eine große Projektionsfläche für die individuellen Sehweisen der Betrachter, die nun ihre eigenen Empfindungen und Erfahrungen mit den Objekten verknüpfen können: ein offen gedachtes Konzept, das viele Lesarten zulässt. Die gleiche Sorgfalt, die Kurz für die der Berechnung der äußeren Form seiner Objekte als auch auf ihre Bezugachsen bei den Installationen aufbringt, widmet er auch der Oberfläche seiner Arbeiten. Stahl ist in diesem Fall nicht einfach graue Materie, oder Messing ein gold schimmernder Werkstoff, sondern hier geht der Künstler bei der Oberflächenbearbeitung im Atelier wie ein Alchemist vor. Nicht mit dem Ziel Gold herzustellen, aber er experimentiert mit Säuren und anderen Substanzen in einem langen Prozess, bei dem auch der kontrollierte Zufall zugelassen wird und der erst dann zu Ende ist, wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist. Mit dieser kontrolliert unsystematischen Methode gelingt es Rolf Kurz eine lebendige Oberfläche zu schaffen, die geradezu malerische Qualität besitzt. Sie ist nicht ebenmäßig, sondern mal matt, mal seidig glänzend, organisch, lebendig, so dass man das Material am liebsten haptisch erfassen möchte. Warme Töne changieren hier von graubraun, bronzefarben, rötlich bis golden aufschimmernd. Diese malerische Oberflächenerscheinung unterstützt bei manchen Objekten Vorstellungen von kostbaren Behältnissen, die über die Einfachheit des verwendeten Baustahls hinwegtäuschen.

Rolf Kurz längerer Aufenthalt in Japan hat in seiner Kunst Spuren hinterlassen. Wie er selbst sagt, hat ihn vor allem der Weg des

"wabi-sabi", ein Konzept der Wahrnehmung von Schönheit, das eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden ist, beeindruckt. Zusammengefasst kann man sagen, dass damit nicht die offenkundige Schönheit als das höchste Gut angesehen wird, sondern das Schöne, das sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbaren. So wie ein bemooster Fels oder ein leicht angerosteter Teekessel.[2] Der amerikanische Künstler und Ästhet Leonard Koren hat dieses Konzept des wabi-sabi in einer schönen Arbeitsanweisung zusammengefasst, das auch auf die Bildhauerei von Rolf Kurz anwendbar ist:

„Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie.“[3]

 

[1] Karl Albiker, Das Problem des Raums in den Bildenden Künsten, Ein Fragment, Frankfurt am Main, 1962, S.13

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Wabi-Sabi

[3] Leonard Koren: Wabi-sabi für Künstler, Architekten und Designer. Japans Philosophie der Bescheidenheit. Tübingen:

Ernst Wasmuth, 2011. Zitiert nach:http://www.oai.de/de/68-ostasienlexikon/www/2115-wabi-sabi.html